Manchmal reicht ein kurzes Korrekturgespräch nicht aus, damit ein fehlerhaftes Verhalten geändert wird. Spätestens wenn die Führungskraft etwas zum dritten oder vierten Mal anmahnt, ist klar: So einfach kann oder will der Mitarbeiter sich nicht verbessern. Dann ist Zeit für ein ausführliches Gespräch.
Wichtig vorab: Es ist verständlich, wenn die Führungskraft in solch einer Situation ärgerlich ist. Sie hat kritisiert und begründet und erklärt - und trotzdem verbessert sich nichts oder nur kurzfristig. Doch Emotionalität hilft nicht weiter. Wenn Sie wissen, was zu tun ist, ist es leichter, durchzuatmen, den Ärger loszulassen und die notwendigen Schritte zu tun.
Ein Beispiel: Defizite im Kundengespräch
Herr Knauber wurde immer mal wieder von seiner Chefin Frau Pawlenka ermahnt, seine Kundentelefonate zu verbessern. Er machte seine Arbeit als Sachbearbeiter richtig gerne, er liebte gerade komplizierte Fälle und war stolz auf seine fundierte Fachkenntnis – wenn nur die Kunden nicht stören würden! Dabei nahm er es sich schon vor, freundlich zu sein, auch wenn die Kunden partout nichts verstehen wollten. Aber Frau Pawlenka war einfach nicht zufrieden.
Was war deren Perspektive als zuständige Teamleitung? Es gab Kundenbeschwerden über Herrn Knauber. Sie schrieb dann Mails oder rief die Kunden an, um diese zufrieden zu stimmen. Manchmal bekam sie auch Gespräche mit, wenn sie in der Nähe seines Arbeitsplatzes war. Ja, da waren Defizite. Wenn sie Herrn Knauber darauf hinwies, war er jedes Mal überrascht, stimmte aber zu, mehr auf seine Kundenorientierung zu achten. Bloß geholfen hatte das bislang nicht.
Korrekturgespräche setzen voraus, dass Mitarbeitende verstehen, was anders gemacht werden soll, und dass sie das auch umsetzen können. Wenn nach mehreren solcher Kurzkritikgespräche keine nachhaltige Verbesserung erreicht ist, dann muss am Verstehen und Können intensiver gearbeitet werden. Es wird Zeit für das „große“ Kritikgespräch, wie ich es gerne nenne.
Dazu wird ein Gesprächstermin vereinbart, mit Nennung des konkreten Themas. Im Fallbeispiel etwa: „Herr Knauber, ich möchte gerne mit Ihnen besprechen, wie Sie Ihre Kundengespräche verbessern können.“ Als Zeitraum sollte eine halbe Stunde eingeplant werden. Je nach Thematik kann es auch länger sein.
Kernelemente des „großen“ Kritikgesprächs
Ein solch vertiefendes Kritikgespräch soll zwei Ziele gewährleisten, nämlich zum einen ein Problembewusstsein beim Mitarbeitenden und zum anderen einen Plan für die Problemlösung.
Problembewusstsein
Weshalb sollte jemand die Mühe auf sich nehmen, sein Arbeitsverhalten zu ändern, wenn gar kein Problem gesehen wird? Erst dadurch kann die Motivation entstehen, sich tatsächlich um Verbesserungen zu bemühen. Es gibt zwei Aspekte:
- Das richtige Problemverständnis
- Ein hinreichender Problemdruck
Wie könnte das bisherige Problemverständnis von Herrn Knauber aussehen? Vermutlich wird er denken, die Ursachen für die Beschwerden lägen bei den Kunden (haben kein Verständnis, hören nicht zu, sind aggressiv). Und bei den Korrekturgesprächen hätte die Chefin einfach zu wenig Vertrauen zu ihm. Verwundert es dann, wenn er nur beschwichtigt und sonst alles beim Alten belässt?
Für ein richtiges Problemverständnis muss Frau Pawlenka ganz konkret beschreiben, was Herr Knauber bei Kundentelefonaten schlecht macht und was er wie anders machen sollte.
Was könnte einen Problemdruck bei Herrn Knauber erzeugen? Vielleicht wirken Argumente, dass Kundenzufriedenheit die eigenen Arbeitsplätze sichert, oder dass die Kunden als Fachfremde darauf angewiesen sind, dass ihnen die Sachverhalte verständlich erläutert werden. Jenseits dieser rationalen Ebene wirkt es aber auch, wenn Frau Pawlenka deutlich macht, dass sie nicht mehr lockerlassen wird, und „Hausaufgaben“ sowie einen Folgetermin vereinbart.
Problemlösung
Hier gibt es oft eine interessante Dynamik aus Abwiegeln und Nichtkönnen. Solange man abblocken kann, braucht man ein neues Verhalten nicht ausprobieren und mögliche Fehlschläge werden vermieden. Je mehr man umgekehrt ahnt, das geforderte Neue gar nicht hinzukriegen, desto energischer versucht man es mit Gegenargumenten. Deshalb empfehle ich, Unterstützung im Sinne einer gemeinsamen Problemlösung anzubieten. Wo sind Ansatzhebel, um eine Verbesserung zu erreichen? In welchen, auch kleinen, Schritten kann die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter sich das Neue aneignen?
Stellen wir uns das bei Herrn Knauber und Frau Pawlenka vor:
- FK: „Herr Knauber, in Ihren Augen sehe ich große Fragezeichen. Sollen wir jetzt mal gucken, wie Sie das auch hinkriegen können?“
- MA: „Ja genau, ich weiß im Grunde nicht, was ich anders machen soll.“
- FK: „Ich bin gestern ja mal an Ihrem Schreibtisch stehen geblieben und habe zugehört. Ich habe drei Ansatzhebel zur Verbesserung erkannt. Sie klären nicht, welche Frage der Kunde genau hat. Sie verwenden unsere Fachsprache, die der Kunde ja schon im Brief nicht verstanden hat. Und Ihr Sprechtempo ist schnell, fast ohne Pausen, das wirkt auf mich bedrängend.“
- MA: „Wie soll ich das denn machen, wenn der einfach nicht verstehen will?! Sie haben ja nicht gehört, wie aggressiv der Kunde geredet hat!“
- FK: „Lassen Sie uns auf zukünftige Telefonate schauen. Da können wir drei, sagen wir mal „Arbeitspakete“ ableiten.
- MA: „Arbeitspakete? Wie meinen Sie das?“
- FK: „Also erstens: Das genaue Anliegen des Kunden herausarbeiten. Zweitens: allgemeinverständlich erklären. Und drittens: langsameres Sprechen. Wie welchem wollen Sie anfangen?
- MA: „Das finde ich alles schwierig. Muss ich das alles ändern? Also ich weiß nicht…“
- FK: „Ja, aber wir gehen Schritt für Schritt vor, und ich unterstütze Sie auch. Also: sind Sie bereit, Ihr Gesprächsverhalten zu ändern? Und womit fangen Sie an?“
- MA: „Ja, gut, dann würde ich mit dem Anliegen herausarbeiten anfangen. Aber wie soll ich das machen? Die Kunden reden ohne Punkt und Komma, und wenn ich erkläre, dann holen sie noch weiter aus.“
- FK: „Das geht mit der richtigen Fragetechnik. Wir werden jetzt ein paar Schlüsselfragen erarbeiten. Nehmen Sie mal diesen Block und notieren Sie die Beispiele, die wir finden…
Auf der praktischen Arbeitsebene
Bei der gemeinsamen Problemlösung soll nicht allgemein herumgeredet werden, sondern ganz pragmatisch konkrete Ansätze erarbeitet, festgehalten und vereinbart werden. So ist es für die Mitarbeitenden vorstellbar, was sie zukünftig anders machen sollen. Für die Führungskraft ist es leichter, eine Verbesserung auch zu beobachten. Es stärkt aber auch den Problemdruck: Wenn ich mich so konkret festlegen muss, dann kann ich mich nicht mit allgemeinen Floskeln wie „zu viel zu tun gehabt“ herausreden.
Der „rote Faden“ im Kritikgespräch
Damit es konstruktiv vorangeht, sollte die Führungskraft einen klaren Gesprächsplan im Hinterkopf haben. Ich empfehle einen Aufbau in dieser Form:
- Gesprächseinstieg mit kritischem Feedback der Führungskraft
- Sichtweise des Mitarbeiters, der Mitarbeiterin verstehen
- Zwischenbilanz und Frage, ob der Mitarbeitende zu einer Änderung bereit ist
- Ansatzhebel zur Problemlösung erarbeiten, konkrete Planung von Lösungsschritten
- Vereinbarung der Aktivitäten und Folgetermin
Überraschend positiver Gesprächsausklang möglich
In einem solchen Gespräch kann sich die Stimmung erstaunlich verändern. Die Mitarbeitenden erleben zu Anfang eine deutliche und konkrete Kritik. Ihre Gegenargumente werden angehört, ändern aber nichts an der Forderung, dass sie an sich arbeiten müssen. Nachdem sie sich – vielleicht erstmal zaghaft – bereiterklärt haben, geht es konkret und praktisch weiter. Auf einmal wird es vorstellbar, wie man es hinkriegen kann. Die Führungskraft macht hilfreiche Vorschläge, steuert ihre Erfahrungen bei. Eine Atmosphäre von Gelingen, von Zutrauen und Aufbruch kann entstehen.
Es ist mir schon mehrfach berichtet worden, dass sich Mitarbeitende am Ende des Kritikgesprächs (!) ausdrücklich bedankt haben.
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