Veränderungen sind schon länger normal. Die Märkte ändern sich und einst sichere Nischen sind nicht weiter rentabel. Die technologischen Entwicklungen, z. B die Digitalisierung, revolutionieren die betrieblichen Abläufe. Kompetenzen werden auf einmal wertlos, Berufsbilder fallen weg. Eine solche disruptive Veränderung ist immer ein Schock, wenn sie einen persönlich trifft.
Im vorherigen Blogartikel habe ich einen möglichen Weg der inneren Bewältigung beschrieben, anhand eines Fallbeispiels des Geschäftsführers Herr Koska. Durch Phasen der Leugnung, des Zorns und der Niedergeschlagenheit fand er zum Annehmen der unvermeidbaren Entwicklung, zu einer realistischen Sicht zurück.
Als Führungskraft haben wir nicht nur die Verantwortung für uns selbst, sondern sollten auch unsere Mitarbeitenden gut durch die Veränderung führen. Was ist dazu wichtig? Viele Unternehmen setzen auf Information und Gesprächsbereitschaft. Doch leider reicht das nicht aus.
Information ist gut, aber nicht ausreichend
Koska wusste, hier würde kein Stein auf dem anderen bleiben. Trotzdem ging er ruhig und konzentriert in die Mitarbeiterversammlung. Als langjähriger Geschäftsführer eines mittelständischen Betriebs der metallverarbeitenden Industrie war er Krisen gewöhnt. Doch nun würde ein Umbruch kommen. Der alte Inhaber hatte sich zur Ruhe gesetzt und den Betrieb verkauft, an einen Mitbewerber aus der Region, einen mit ausländischen Investoren. Das Gute daran war, dass alle 68 Arbeitnehmer weiter gebraucht würden. Die Herausforderung allerdings: nicht jeder in seinem angestammten Arbeitsbereich, und auch nicht jeder hier am Standort. Dennoch war das Verhandlungsergebnis in seinen Augen gut, denn es brachte mindestens mittelfristig einige Sicherheit.
Er hatte eine große Präsentation vorbereitet. Über die Ausgangslage, die Verhandlung, den zukünftigen Eigentümer, die Planungen, die Garantien, die Chancen. Doch im Anschluss blickte er in stumme Gesichter. Es gab einige wütende, völlig unsachliche Einwürfe, aber keine Fragen und keine konstruktive Diskussion.
So etwas kommt häufig vor. Die Informationen sind dennoch gut und wichtig, die geben den Beschäftigten Anhaltspunkte, auf was sie sich einstellen müssen. Sie dokumentieren, dass sich die Beteiligten – meist auf Managementebene – Gedanken und Mühe gemacht haben.
Allerdings beantworten sie nicht die Frage, die jeder vor Augen hat, nämlich „Was wird mit mir?“ Deshalb sind Einzelgespräche in Veränderungszeiten unverzichtbar. Dort können auch schwierige Themen behandelt werden.
Was wird mit mir?
Davor scheuen aber viele Führungskräfte zurück. Solche Gespräche sind anspruchsvoll. Was soll ich denn jemand antworten, wenn ich selbst nicht weiß, wie es für ihn weitergeht? Da verkriecht man sich doch lieber hinter seinen Mails. Aber auch wenn es noch keine klaren Antworten gibt, ist das gemeinsame Aushalten von Unsicherheit etwas sehr Wertvolles!
Ich will Ihnen mit diesen Blogartikeln dazu Mut machen und Ihnen aufzeigen, worauf Sie achten müssen, je nachdem, wie die Mitarbeitenden reagieren.
Reaktionsmuster Leugnen
Unter zu großem Stress schottet sich die Psyche mit Abwehrmechanismen ab. Wir verzerren Wahrnehmungen oder verdrängen sie ganz. Passiert das bei drohenden betrieblichen Veränderungen, dann führt das dazu, dass wichtige Zeit verloren geht, um sich auf das Neue einzustellen.
In meinem Fallbeispiel war geplant, die Produktionsstraße B komplett abzureißen, da ist veraltet war und in einem Schwesterbetrieb des neuen Eigentümers eine moderne Anlage zur Verfügung stand. Der frei werdende Platz in der Halle B sollte mit Fertigungsinseln für ein komplett anderes Produkt bestückt werden. Die Werker müssten umgeschult werden. Ein Problem gab es aber beim bisherigen Meister der Produktionsstraße B, Herrn Zurmann.
Koska hatte ihm klargemacht, dass seine bisherige Aufgabe am Standort wegfallen würde. Er hätte die Alternativen
a) zum Schwesterbetrieb zu wechseln, der allerdings 130km entfernt lag, oder
b) eine Rückstufung auf die Vorarbeiterebene hinzunehmen und in der Produktionsstraße A tätig zu werden.
Zurmann antwortete auf Fragen nach seiner Präferenz ausweichend. Er wirkte so, als ob sich gar nichts ändern würde. Koska wurde kribbelig, denn die Besetzung der in Frage kommenden Stellen im Schwesterbetrieb oder in der Produktionsstraße A konnte nicht ewig hinausgeschoben werden. Auf eine vorsorgliche Änderungskündigung hatte er verzichtet. Aber was sollte er nun tun? Hatte Zurmann etwa schon einen neuen, besseren Job? Oder wollte er mit seinen 52 Jahren in Frührente gehen?
Wenn Mitarbeitende auf angekündigte Änderungen keine Reaktion zeigen und wertvolle Zeit verlieren, um sich um ihre Zukunft zu kümmern, dann sollten Führungskräfte unbedingt das Gespräch suchen.
Herr Koska nahm also Zurmann an einem ruhigen Tag zur Seite und fragte, wie dieser sich seine Zukunft vorstellte. Der wich wieder aus und meinte, er würde abwarten. Auf was denn? Auf ein Angebot des Arbeitgebers. Bei seiner langjährigen Betriebszugehörigkeit könne man ihn nicht rausschmeißen, und die aufgezeigten Alternativen würden ihm beide nicht gefallen. Da würde sich bestimmt noch besseres ergeben.
Was soll man da tun? Mitgefühl zeigen? Da würde sich der Betroffene in falscher Sicherheit wiegen. Sein Verdrängen der drohenden Veränderungen würde nur gestärkt. Der einzig hilfreiche Weg besteht darin, durch „harte“ Fragen das Abwehrgebäude zu erschüttern.
Das fällt den meisten Führungskräften schwer. So „böse“ soll ich agieren? Ja und nein. Hart im Sinne davon, harte Wahrheiten deutlich auszusprechen. Aber durchaus mitfühlend, was die Lage des Gesprächspartners betrifft.
Konfrontieren als Hilfe
„Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen“, so fing Koska an, „dass wir Ihnen kein weiteres Angebot machen werden. Was ändert diese Tatsache an Ihren Planungen?“
„Was?! Ich plane doch gar nichts. Ich will, dass es so bleibt. Ich mache meinen Job schließlich gut, oder?“
„Sicher machen Sie Ihre Aufgabe gut. Das ändert aber nichts an den Plänen des neuen Eigentümers. Was wird denn passieren, wenn Sie weiter abwarten?“
Durch solches Hinterfragen, aber falls nötig auch durch Konfrontieren mit verdrängten Tatsachen, wird den Betreffenden spürbar gemacht, in welch unrealistische Vorstellungen sie sich verfangen haben. Diese müssen erschüttert werden, damit sie handlungsfähig werden und – trotz der Veränderung – ihr Leben gut steuern können.
Für die Führungskraft ist dies eine anspruchsvolle Anforderung. Sie darf weder zu behutsam formulieren, denn das würde überhört, noch aggressiv werden. In Change Situationen ist es hilfreich, wenn dazu Seminare oder Coachings angeboten werden.
Aggressive Reaktionsmuster
Mitarbeitende, die aggressiv reagieren, haben den Ernst der Lage zumindest erkannt. Jedoch führt ungezügelte Wut, so verstehbar sie im Einzelfall ist, oft zu einer Verschlechterung ihrer Chancen. Die Führungskraft sollte hier einschreiten, um zu verhindern, dass die Person sich selbst schadet. Daneben gibt es oft Gruppeneffekte: Ein aggressiv reagierender Kollege kann das Team „anstecken“, negative Stimmung machen und Widerstand schüren. Teammitglieder, die sich schon konstruktiv auf die Neuerungen einstellen, werden isoliert und verunsichert.
In einer der Schichtgruppen gab es eine solche Entwicklung. Herr Wörtner beschwerte sich ständig über die Zumutungen der Firma, hielt damit Kollegen von der Arbeit ab und verschlechterte die Stimmung in der Schicht. Zunächst hatte der zuständige Vorarbeiter, Herr Günc, sich zurückgehalten und gehofft, Wörtner würde sich von alleine beruhigen. Als dieser aber ankündigte, er würde eine „Auszeit aus diesem Sauladen“ brauchen und tatsächlich eine AU-Meldung einreichte, wandte Günc sich an Koska. Beide luden Wörtner nach Ablauf der Krankschreibung zu einem förmlichen Personalgespräch ein.
„Ich habe Verständnis für Deine Unzufriedenheit“, begann Günc, „wir müssen uns auf unbequeme Veränderungen einstellen. Neues Schichtsystem, Umschulungen, neue Kollegen, klar. Aber ohne den neuen Eigentümer hätten sie uns hier zugemacht. Ja, dicht. Alle entlassen. Deshalb fordere ich dich auf, ab sofort konstruktiv mitzumachen. Hör auf mit dem Gemeckere, steck die Kollegen damit nicht weiter an. Und krankschreiben mit Ankündigung – das geht gar nicht.“
Wörtner schwieg demonstrativ und guckte mit zusammengebissenen Lippen von Günc zu Koska und zurück. Koska übernahm: „Wie Sie sich schon denken können, muss ich an dieser Stelle eine förmliche Ermahnung aussprechen…
Verständnis und Grenzen
Auch mit aggressiv reagierenden Mitarbeitenden ist ein Spagat zu bewältigen: einerseits brauchen sie ein klares Stoppsignal zu den nicht tolerierbaren Verhaltensweisen, andererseits sollte man mit Ausdauer dafür werben, dass sich eine konstruktive Mitarbeit an den Veränderungsmaßnahmen lohnt, und betonen, dass sie gebraucht werden.
Depressive Reaktionsmuster
Zur Abgrenzung: hier sind nicht depressive Erkrankungen gemeint, die der Behandlung durch Ärzte und Psychotherapeuten bedürfen. Allerdings kann man sich depressive Reaktionen auf einem Kontinuum vorstellen, und leichtere Phasen von Niedergedrücktheit und Hoffnungslosigkeit können unter starkem Stress vorübergehend auftreten. Um diese soll es gehen.
Wichtig zu wissen: es ist für die Betroffenen meist besser, weiterhin zu arbeiten. Die Prognosen sind schlechter, wenn sie krankgeschrieben werden. Deshalb tut man ihnen nichts Gutes, wenn man ihnen vorschnell nahelegt, sie wären nicht mehr arbeitsfähig. Das muss die Person selbst entscheiden. Es gibt aber wirksame Unterstützungsmöglichkeiten, gerade auf der Arbeit!
Mitarbeitende, die depressiv reagieren, fallen nicht unbedingt auf. Sie tun ihre Arbeit, vielleicht langsamer und mit weniger Konzentration. Deshalb ist der erste Rat, aufmerksam hinzuhören, um depressive Reaktionen überhaupt zu erkennen.
Frau Hamid-Schulze arbeitete langjährig in einer Schicht an der Produktionsstraße B, die jetzt aufgegeben werden sollte. Dem Geschäftsführer war aufgefallen, dass sich bei ihr die Krankheitstage häuften, und fragte beim zuständigen Vorarbeiter, Herrn Jenssen, nach. Dieser suchte das Gespräch. „Crissy, hey, was ist mir dir los?“ Frau Hamid-Schulze wiegelte ab. „Ach nichts. Sind nur so unsichere Zeiten. Alles wird teurer, und wie es mit mir weitergeht, das steht ja auch in den Sternen.“
Jenssen blieb dran. „Was meinst du damit? Wir hatten doch gesprochen…“ Er meinte, dass er ihr eine besonders positive Botschaft übermittelt hätte. Aufgrund ihrer guten Leistung, ihrem Engagement und ihrer Auffassungsgabe war sie mit ausgewählt worden, auf die neuen modernen Fertigungsinseln geschult zu werden. In einem längeren Gespräch kam dann heraus, dass Frau Hamid-Schulze es sich nicht zutraute, eine solche Schulung erfolgreich zu absolvieren. Sie glaubte nicht, dass sie mit ihren 48 Jahren noch sowas Neues erlernen könne, und sah sich mit einem Fuß in der Arbeitslosigkeit. Das ganze Leben schien ihr dunkel, und es fiel ihr schwer, morgens überhaupt aufzustehen.
Aktivierung und kleine Schritte
Nun soll man nicht als Hobby-Psychologe auftreten. Der wesentliche Hebel für Führungskräfte liegt darin, den depressiv Reagierenden zu aktivieren, und zwar in ganz kleinen, aber strukturierten Schritten. Die hoffnungslose Stimmung bildet einen Teufelskreis mit Kraftlosigkeit, und wenn man über kleine Schritte dieses Gelähmtsein überwindet, dann hellt das auch die Gefühlslage auf.
Jenssen könnte Frau Hamid-Schulze beispielsweise beauftragen, sich mit der geplanten Produktion zu beschäftigen, mit Kollegen im Schwesterwerk Kontakt aufzunehmen, die schon mit der neuen Technik arbeiteten usw. Wichtig sind eine engmaschige Begleitung und Ermutigung. Aber Aufgaben abzunehmen, das hilft nicht! Die Betreffenden müssen merken, dass sie es selbst tun und können.
Wissen, was zu tun ist
Je nach dem vorherrschenden Reaktionsmuster muss die Führungskraft also völlig anders vorgehen. Das eine Mal hart konfrontieren, dann wieder ermutigen und begleiten, oder Grenzen setzen. Viele Verhaltensweisen sind nicht intuitiv. Das Bauchgefühl kann uns nicht leiten, weil uns Erfahrungen mit diesen Situationen fehlen. Deshalb ist es wichtig, das Wissen und Können für solche Situationen zu lernen.
Kommentar schreiben